SEXUELLE BELÄSTIGUNG

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) spricht von sexueller Belästigung, wenn

 

„[…] ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.“

 

§ 3 Abs. 4 AGG Bei einer sexuellen Belästigung handelt es sich also um eine unerwünschte Verhaltensweise, die sexualisiert und geschlechtsbezogen ist.1 Das können vor allem sexuelle Anspielungen oder unangemessene körperliche Berührungen sein. Die Unerwünschtheit besteht aber auch dann, wenn eine Person unter Druck gesetzt wurde, eine sexuelle Handlung zu erdulden oder zu erwidern. Eine sexuelle Belästigung geht mit einer Würdeverletzung der belästigten Person einher. Das heißt, das Verhalten beleidigt, erniedrigt oder beschämt die andere Person.

 

Es geht dabei nicht darum, ob die Würdeverletzung beabsichtigt ist, sondern um die Auswirkung auf die belästigte Person. Sexuelle Belästigung ist also nicht ausschließlich sexuelle Gewalt, sondern bezieht sich auf alle Formen solcher Belästigungen. Das AGG verbietet sexuelle Belästigung insbesondere in beruflichen Zusammenhängen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1–4 AGG). Das Gesetz gibt Beschäftigten Rechte, um sich gegen sexuelle Belästigung zur Wehr zu setzen. Gleichzeitig bestimmt das AGG eine deutliche Schutzpflicht für Arbeitgeber. In den meisten Fällen sind Frauen von sexueller Belästigung betroffen. Das Gesetz verbietet sexuelle Belästigung aber grundsätzlich und schützt somit auch Männer, Trans*-Personen2 und intergeschlechtliche Menschen sowie alle anderen AGG-Merkmale. — Sexuelle Belästigung ist durch Würdeverletzung und Unerwünschtheit bestimmt. — Jede sexuelle Belästigung ist am Arbeitsplatz verboten, egal ob die verursachende Person die Belästigung beabsichtigt hat und die Belästigung erkennbar abgelehnt wurde. 

 

 

1.1. Formen sexueller Belästigung

 

Das Gesetz nennt einige Beispiele sexueller Belästigung wie etwa Bemerkungen sexuellen Inhalts oder Aufforderungen zu sexuellen Handlungen. Es gibt noch einige weitere Formen. Bei sexueller Belästigung können drei Kategorien unterschieden werden: verbale, non-verbale und physische Belästigung.

3 Art der sexuellen Belästigung

4 Beschreibung Verbal — sexuell anzügliche Bemerkungen und Witze — aufdringliche und beleidigende Kommentare über die Kleidung, das Aussehen oder das Privatleben — sexuell zweideutige Kommentare — Fragen mit sexuellem Inhalt, z.B. zum Privatleben oder zur Intimsphäre — Aufforderungen zu intimen oder sexuellen Handlungen, z.B. „Setz dich auf meinen Schoß!“ — sexualisierte oder unangemessene Einladungen zu einer Verabredung Non-verbal — aufdringliches oder einschüchterndes Starren oder anzügliche Blicke — Hinterherpfeifen — unerwünschte E-Mails, SMS, Fotos oder Videos mit sexuellem Bezug — unangemessene und aufdringliche Annäherungsversuche in sozialen Netzwerken — Aufhängen oder Verbreiten pornografischen Materials — unsittliches Entblößen Physisch — jede unerwünschte Berührung (Tätscheln, Streicheln, Kneifen, Umarmen, Küssen), auch wenn die Berührung scheinbar zufällig geschieht — wiederholte körperliche Annäherung, wiederholtes Herandrängeln, wiederholt die übliche körperliche Distanz (ca. eine Armlänge) nicht wahren — körperliche Gewalt sowie jede Form sexualisierter Übergriffe bis hin zu Vergewaltigung

 

1.2. Flirt oder sexuelle Belästigung? Wo ist die Grenze? Im Alltagsverständnis wird sexuelle Belästigung oft mit physischer Gewalt gleichgesetzt. Sexuell übergriffiges und belästigendes Verhalten beginnt aber viel früher, auch wenn viele Formen sexueller Belästigung im Alltag nicht strafbar sind. Vor allem verbale und non-verbale Belästigungen werden immer wieder verharmlost. Den Betroffenen wird unterstellt, dass sie überempfindlich auf einen Witz oder Flirtversuch reagieren. Ein Flirt zum Beispiel hat nichts mit sexueller Belästigung zu tun. Er ist auch am Arbeitsplatz nicht verboten. Aber: Flirts entstehen in beiderseitigem Einverständnis. Übergriffiges Verhalten geschieht ohne das Einverständnis der anderen Person. Das Verhalten ist damit grenzüberschreitend. Vor allem dann, wenn die betroffene Person Ablehnung signalisiert oder durch das Verhalten gedemütigt oder beschämt wird. Außerdem handelt es sich um eine sexuelle Belästigung, wenn z.B. einer Beschäftigten berufliche Nachteile angedroht werden, falls sie sexuelle Handlungen verweigert. Oder wenn beispielsweise einem Mitarbeiter berufliche Vorteile dafür versprochen werden, dass er sich auf sexuelle Handlungen einlässt. Flirt = sexuelle Belästigung? Die Grenzen sind klar markiert! — Unerwünschtheit — Erniedrigung und Abwertung — Einseitigkeit — Grenzüberschreitung — Versprechen beruflicher Vorteile bei sexuellem Entgegenkommen — Androhen beruflicher Nachteile bei Verweigerung Beispiel aus der Rechtsprechung: Einem Produktmanager wird aufgrund mehrfacher verbaler sexueller Belästigung einer Kollegin außerordentlich gekündigt. Der Mann klagt gegen die Kündigung. Die Begründung: Es habe sich seiner Meinung nach nicht um eine sexuelle Belästigung, sondern um bloßes ‚Necken‘ gehandelt. Das Gericht weist die Klage ab. Es bestätigt, dass das Verhalten des Belästigers die Würde der Mitarbeiterin verletzt hat. Der Mann hat bereits einige Jahre zuvor eine Abmahnung wegen sexueller Belästigung erhalten. Er hatte einer Kollegin gezielt auf das Gesäß geschlagen. Das Gericht kommentierte diesbezüglich, dass der Angestellte schon für diesen Vorfall eine Kündigung hätte erhalten können. Auch die langjährige Betriebszugehörigkeit des Mannes wirkte sich nicht mildernd auf das Urteil aus. Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil v. 09.06.2011– AZ: 

 

3.3. Wie wirkt sich sexuelle Belästigung auf die Betroffenen und den Betrieb aus?

 

Sexuelle Belästigung wirkt sich sowohl auf die physische als auch auf die psychische Gesundheit von Betroffenen aus. Das kann von Angst, Scham und Ekel bis hin zu Schlafstörungen und Depressionen reichen.32 Dabei kann zwischen kurzfristigen und langfristigen Folgen unterschieden werden. Sexuelle Belästigung kann dazu führen, dass die Arbeitsmotivation von Betroffenen beeinträchtigt wird, sie unkonzentriert sind oder krank werden. Das ist vor allem dann der Fall, wenn sich belästigte Personen nicht trauen, sich zu beschweren oder ihre Beschwerde nicht ernst genommen wird. Das führt oft dazu, dass betroffene Personen sich gezwungen sehen zu kündigen oder arbeitsunfähig werden.

 

33 Sexuelle Belästigung hat aber nicht nur individuelle Folgen.

 

Sexuelle Belästigung schadet dem Betriebsklima insgesamt und kann die gesamte Belegschaft sowie den Ruf des Betriebs negativ beeinflussen. Psychische und physische Folgen von sexueller Belästigung Kurzfristige Folgen Langfristige Folgen — Ärger und Aggression — Schlaflosigkeit — Migräne — Magenschmerzen — Verlegenheit und Scham — Angst und Hilflosigkeit — Schock und Ohnmacht — Schuld — Ekel — Gefühl der Minderwertigkeit — Verlust des Selbstvertrauens — Beziehungsschwierigkeiten — Angstzustände — Schlafstörungen — Konzentrationsschwierigkeiten — Arbeitsunfähigkeit — Depression — Panikattacken

 

 

4.1.1. Rechte von Betroffenen

 

Das AGG sieht für Betroffene drei zentrale Rechte vor:

— Beschwerderecht (§ 13 AGG)

— Leistungsverweigerungsrecht (§14 AGG)

— Anspruch auf Entschädigung und Schadensersatz (§ 15 AGG)

 

Beschwerderecht nach § 13 AGG Alle Beschäftigten haben das Recht, im Betrieb bei der zuständigen Stelle Beschwerde einzulegen, wenn sie das Gefühl haben, nach dem AGG benachteiligt worden zu sein. Das gilt also auch für sexuelle Belästigung. Die Beschwerdestelle muss im Betrieb bekannt gemacht werden (§ 12 Abs. 5 AGG). Die Beschwerdestelle muss sich mit der Beschwerde auseinandersetzen, sie prüfen und die betroffene Person über das Ergebnis der Prüfung informieren. Beschäftigten, die eine Beschwerde eingelegt haben, dürfen daraus keine Nachteile entstehen. Abmahnungen oder Kündigungen wegen einer Beschwerde sind also verboten (§ 16 Abs. 1 AGG). Außerdem haben Beschäftigte den Anspruch auf vorbeugende und unterbindende Schutzmaßnahmen durch den Arbeitgeber (§ 12 Abs. 1–4 AGG). ! ! ! Bei Beschwerden gilt: Je früher die sexuelle Belästigung gemeldet wird, desto besser. Für Beschwerden selbst gibt es aber keine Fristen. Fristen sind aber dann zu berücksichtigen, wenn betroffene Personen Ansprüche auf Schadensersatz oder Entschädigung geltend machen wollen. Bei sexueller Belästigung ist es für Betroffene sinnvoll, jeden einzelnen Vorfall zu dokumentieren. Es kann sinnvoll sein, sich vertrauensvoll an Kolleginnen oder Kollegen zu wenden. Hier ist jedoch eine gewisse Vorsicht geboten: Die Verschwiegenheit der Vertrauensperson ist eine wichtige Voraussetzung. Ihre Beschwerde können Betroffene darüber hinaus gemäß Betriebsverfassungsgesetz auch an den Betriebsrat richten (§ 84 BetrVG). In manchen Fällen ist die Beschwerdestelle ohnehin dort eingerichtet und keine gesonderte Stelle. In jedem Fall muss der Arbeitgeber dafür sorgen, dass die sexuelle Belästigung in Zukunft unterbleibt. Leistungsverweigerungsrecht nach § 14 AGG Wenn der Arbeitgeber keine wirksamen Maßnahmen ergreift, um die betroffene Person zu schützen, kann man als „letztes Mittel“ der Arbeit fern bleiben und weiterhin das volle Gehalt verlangen, um weiteren sexuellen Belästigungen zu entgehen. Das gilt aber nur dann, wenn der Arbeitgeber nichts zum Schutz vor sexueller Belästigung unternimmt oder die Maßnahmen ungeeignet sind. In jedem Fall sollte der Arbeitgeber vor der Leistungsverweigerung schriftlich und unter Angabe der Gründe informiert werden. ! ! !

 

Für Beschäftigte ist nicht immer erkennbar, ob eine Maßnahme ungeeignet ist. Im Zweifelsfall müssen Beschäftigte die Rechtfertigung für die Leistungsverweigerung beweisen. Sind die Voraussetzungen für eine Leistungsverweigerung nicht gegeben, sind Arbeitgeber ggf. zu einer Kündigung berechtigt. Beschäftigte sollten sich deshalb auf jeden Fall juristisch beraten lassen, bevor sie die Arbeit niederlegen. Ansprüche auf Schadensersatz und Entschädigung nach §15 AGG Von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz Betroffene haben in einigen Fällen ihrem Arbeitgeber gegenüber einen Anspruch auf Schadensersatz bzw. Entschädigung. Das heißt zum Beispiel: Arzt- oder Therapiekosten, die wegen der sexuellen Belästigung entstanden sind, müssen übernommen werden (Schadensersatz). Auch ein Schmerzensgeld ist möglich (Entschädigung).

 

Hier sind die kurzen Fristen von zwei Monaten zu berücksichtigen. Arbeitgeber haften für eine sexuelle Belästigung, wenn die sexuelle Belästigung von einer Person ausgeht, die Arbeitgeberfunktionen wahrnimmt oder Weisungsrecht hat: Vorgesetzte, Personalleitungen, Geschäftsführung oder Vorstandsmitglieder. Bei sexueller Belästigung durch Kolleginnen oder Kollegen haften Arbeitgeber nur, wenn sie keine Schutzmaßnahmen ergriffen haben und es erneut zu einem Vorfall kommt. ! ! Die Ansprüche müssen innerhalb von zwei Monaten schriftlich beim Arbeitgeber geltend gemacht werden. Ihre Höhe muss einzeln beziffert werden. Dabei genügt eine ungefähre Zahl. Die Frist gilt ab dem Zeitpunkt des Vorfalls. Nachdem die Ansprüche beim Arbeitgeber geltend gemacht wurden, haben Betroffene drei Monate Zeit, um die Ansprüche beim Arbeitsgericht einzuklagen.  

 

4.2. Arbeitgeber

 

4.2.1. Allgemeine Pflichten Schutzpflicht

Nach dem AGG hat jeder Arbeitgeber seinen Beschäftigten gegenüber eine Schutzpflicht (§ 12 AGG).

Demnach sind Arbeitgeber dazu verpflichtet, sexuelle Belästigung zu verhindern. Das bedeutet einerseits, dass durch Information und Prävention sexuelle Belästigung verhindert wird. Andererseits muss nach einem Vorfall durch Sanktionen und andere Maßnahmen der künftige Schutz der betroffenen Person gewährleistet werden. Beschwerdestelle und Informationspflicht Alle Arbeitgeber sind verpflichtet, eine Beschwerdestelle für betroffene Beschäftigte einzurichten. Die Stelle bzw. Person (einschließlich Orte und Zeiten der Anlaufstellen) müssen allen Beschäftigten bekannt gemacht werden. Die Information sollte mindestens über einen Aushang oder eine E-Mail erfolgen. Die Beschwerdestelle ist verpflichtet, jeder Beschwerde nachzugehen. Sie ist auch verpflichtet, den Arbeitgeber über jede Beschwerde zu informieren. Gleichzeitig gilt das Maßregelungsverbot (§ 16 AGG): Beschäftigten, die eine Beschwerde einreichen, dürfen dadurch keine Nachteile entstehen, unabhängig davon, ob die Beschwerde begründet oder unbegründet ist. ! ! Die Beschwerdestelle muss allen Beschäftigten bekannt gemacht werden. Jeder Beschwerde muss nachgegangen werden. Beschäftigten, die eine Beschwerde einreichen, dürfen daraus keine Nachteile entstehen.